„People“ Gesellschaft & Leute
Fragen an Petra,
„Internetjunkies“, Interview mit Petra M. Jansen, geführt von dem BR-/ARTE-Regisseur und Journalisten Pierre Mathias
Du
Petra, ich kam mehr als 30 Jahren ohne Handy, ohne Internet, ohne e-Mail aus.
Wie kommt es, dass ich noch lebe?
Für die heutige
Generation ist es nicht mehr vorstellbar, ohne diese Kommunikationsmedien
auszukommen. Ich frage mich auch, ob die Welt zusammenbräche, wenn wir wieder -
wie früher - ein ganz normales Telefon hätten oder den Postweg. Wir würden wohl
nicht mehr über „zu wenig Zeit“ klagen und es entstünde ein riesengroßes Loch, fast
eine Wunde, die ausblutet oder nie mehr verheilt. Unvorstellbar und
beängstigend, wie abhängig wir davon geworden sind und doch können auch wir
hier nur schreiben, weil es das Internet gibt.
Wie kann man sich mit dem
Internet volllaufen lassen? Bekommt man dabei einen Kick?
Ich persönlich
pflege einen nahezu rein beruflich orientierten Kontakt zum Internet oder es
dient mir als kurzweilige Informationsquelle. Diese Vielfalt an Informationen
und Daten standen uns noch nie zur Verfügung und wir sollten dies sinnvoll und
konstruktiv nutzen. Das Internet vernetzt die Welt und sollte sie gleichzeitig
auch entsetzen.
Frank Schirrmacher
sagte einmal „ich befürchte, dass unser Gedächtnis bei Google lagert. Wir
verändern unser gesamtes Denken und merken uns die konkreten Dinge nicht mehr“.
Er hat so Recht damit, Google kennt und weiß alles, wir aber haben das Merken
und Auswendigkönnen verlernt. Aber selbst, wenn wir Kochrezepte in unserem Kopf
haben, können wir noch lange kein schmackhaftes Menue zubereiten. Der Kick wird
eines Tages der sein, dass wir unseren Wissensstand ausgelagert haben und
Suchmaschinen unser Wissen sammeln und abspeichern. Fragen wir dann gezielt in
die Runde, bekämen wir die Antwort „das müsste ich mal googeln, das hab ich
irgendwo gelesen.“ Der Kick geht ins Aus, Pierre.
Besteht bei Internet nicht die Gefahr,
dass man selbst virtuell wird? "Hallo, gibt es mich noch?" Ich muss
deinen Server fragen!"
Das Problem ist die exzessive Nutzung des Internets und
auch der I Phones mit z.T. permanentem Internetzugang. Ich kenne junge Leute,
die sind 24/7 online, also rund um die Uhr und sie holen sich dort ihre
Aufmerksamkeit, ihre Anerkennung, teilen den größten Blödsinn mit oder setzen
Bilder und Aussagen ins Netz, die dort nicht hingehören. Virtuell kann sich
jeder darstellen wie er möchte, sich einen anderen Namen oder eine andere
Identität geben. Und genau das ist die Gefahr! Die Virtualität wird auf die
Realität übertragen und sie bilden sich ein, einen großen Freundeskreis zu
haben, nur weil sie im Netz mit zahlreichen Freunden chatten oder interagieren.
Tatsache ist: wenn sie den Knopf drücken und sich umschauen, sind sie wieder
alleine, meistens verdammt alleine...
Wenn das Internet streikt, ab in das
Waisenhaus! Ist das nicht doof?
Ich hatte vor
einiger Zeit eine Störung und Ausfall meines Internets und verfüge weder über
einen Laptop noch ein internetfähiges Handy. Einzig und alleine das Posten
meiner Kolumne hier war Grund, dass ich einen anderen Ort aufsuchte, um sie von
dort aus einstellen zu können. Ich habe es nicht vermisst und hätte tagelang
offline bleiben können. Meine Welt geht nicht unter, wenn ich einmal nicht die
Selbstdarstellungen anderen Menschen lesen muss, es langweilt mich eher und ich
habe mich als Privatperson im Netz zurückgezogen. Meine erste, einzige und
letzte private Erfahrung im Internet war eine glatte Bauchladung und ich bin
mache den gleichen Fehler nicht zweimal. Ich nutze das Internet im Wesentlichen
rein beruflich. Es ist für mich ein Kommunikationsmedium, das uns hilft, unsere
Arbeit schneller von einem Ort zum anderen zu übermitteln, z.B. (bei mir) als
Dokumente oder PDF-Dateien, ggf. mal ein Foto oder weiterführende links zu
Veröffentlichungen. Wenn ich unter Vertrag stehe und meine Texte abliefern
muss, stehe ich schon ein wenig unter Druck und muss eine Ausweichmöglichkeit
finden. Das betrifft aber ausschließlich meine Arbeit und für mein privates
Leben brauche ich kein Internet. Für viele andere aber würde eine Welt
zusammenbrechen und sie wären tatsächlich auf Entzug.
Ist nicht die nächste Etappe der
virtuelle Fick? Ganz schön erotisch!
Unerotischer geht
es ja wohl nicht mehr, Pierre. Die virtuelle Welt lässt Filme entstehen,
Wünsche und Vorstellungen, die nicht realistisch sind. Menschen aus dem
Katalog, Menschen als Ware,
Menschen als Verschleißartikel. Ich kannte einen Mann, der sein ganzes Leben
mit dem Internet teilte. Musik immer auf dem neuesten Stand illegal
runtergeladen, auf zahlreichen communities angemeldet, präzise Partnersuche
über das Internet, Informationssuche durch Google, er beendete sogar seine
Beziehung virtuell. Was soll ich sagen, Pierre? Er hatte nicht einmal den Mumm
dies real zu tun, eine arme Sau halt. Der virtuelle Fick ist genauso wenig
befriedigend wie per e-Mail verschickte Masturbationsvideos. Welcher normale
Mensch würde sich solch einen Rotz antun? Ficken in der virtuellen Welt ist was
für Voyeure oder Exhibitionisten. Noch müssen sie schon hinter ihrem Bildschirm
rauskriechen, wenn sie sich trauen - aber wenigstens ist Cybersex nicht
ansteckend.
Wie sollte ein Liebeserklärung für das
Internet formuliert werden? "Wie wäre es mit einem Zungenkuss?"
Es gibt nur eine Liebeserklärung, die man im Internet von
sich geben könnte: mein reales Leben ist mir so lieb, dass ich sie um
Verständnis bitte, wenn ich weitestgehend offline bleibe. Die Liebe zu sich
selbst, die Liebe zu seinem Leben, die Liebe zu der Realität um uns herum, die
schöner ist als jede Sekunde, die man am PC verbringt. Die
einzige Ausnahme mache ich bei einer beruflichen Nutzung.
Als reines Privatvergnügen ist es für mich untauglich, da
gibt es Besseres.
Was nun, wenn Internet impotent wird?
Her mit dem Viagra!
Es sind
Suchtjunkies unterwegs, jede Menge! Junge Menschen haben keine Grenzen und
können nicht wirklich einschätzen, was mit ihnen auf Dauer passiert. Es ist wie
mit allen Drogen - in Maßen und mit Vernunft konsumiert und rechtzeitig die
Bremse gezogen - werden sie eine Erfahrung sein. Wird diese Bremse nicht
gezogen, bringt sie dich um (den Verstand). Dann heißt es „her mit dem Stoff!“
Das Schlechteste
wäre es nicht, einmal ganz ohne Internet zu sein. Es ging ja früher auch und
wir hatten tatsächlich mehr Zeit als in einem Zeitalter, in dem nichts so
schnell um den Erdball verbreitet wird, wie heute.
Auf der Straße, nur noch Doofies, die
mit dem I Phone hantieren. Haben sie somit die Gewissheit, dass sie noch leben?
Das konnte ich vor einiger Zeit an einer Bushaltestelle
beobachten, Pierre. Es saßen vier Jugendliche nebeneinander, sprachen kein Wort
und jeder war mit Herumgetippe in sein I Phone beschäftigt. Ich frage mich,
wozu sie sich eigentlich getroffen haben. Mir gibt auch eine junge Kollegin zu
denken, die Tag und Nacht online ist, während der Arbeitszeit ständig ihre communities
kontrolliert oder Fotos von sich selbst schießt, diese sofort bearbeitet und
ins Netz stellt. Ob die Nacht mit ihrem Freund nun gut oder Mist war, das
können wir alle gleich mitlesen. Sie ist ständig unzufrieden, pudert sich den
ganzen Tag die Nase, zieht den Lippenstift nach und ist eine total
verunsicherte, dumme Person. Ein Buch hätte sie schlauer gemacht.
Gibt mir das Internet die notwendigen
Streicheleinheiten?
Mir nicht! Natürlich freue ich mich über eine positive
Resonanz auf meine Veröffentlichungen und den Austausch mit anderen Autoren,
auch über den hier neu entstehenden interaktiven Fortsetzungsroman, aber meine
Streicheleinheiten die will ich lieber persönlich entgegennehmen - Auge in Auge
und Hand in Hand.
Dank Internet sind Mann und Weib total
überflüssig! Wenn es so ist, soll es Kinder gebären! Aseptisch und hygienisch,
nicht wahr Petra?
Eine
schreckliche Vorstellung, hat den Touch eines Science Fiction Gruselthrillers.
Im
Internet werden Männlein zu Weiblein und blond zu schwarz, es ist geduldig und
spielt mit. Der arbeitslose Quartalssäufer ist ein Held, die verlogene
Psychotante ist gerade noch am Krebs vorbeigezischt, die fette
Ruhrpotthausmutter sucht vehement in den Internetgruppen und –foren ihren
Lover. Wenn d i e sich vermehren könnten, Pierre, wären wir bald ausgerottet,
denn da stimmt ja nichts mehr. Nicht einmal mehr der Verstand bleibt am Leben –
das übernimmt Google (übrigens hygienisch sauber kalkuliert)! Und die
Verordnung von „ganz oben“, die so zuckersüß lächelt wie Mr. Zuckerberg &
Co., sich an soviel Idiotie und Lammgehabe erfreuen und in die Hände spucken
können. An uns ist das reale Leben derweil vorbeigezogen, macht aber nichts -
schließlich können wir ja noch mit 80 chatten.
© Petra M. Jansen
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